Achtsamkeit lässt sich beschreiben als „nicht urteilendes Gewahrsam von Moment zu Moment (…), das kultiviert wird, indem man auf eine bestimmte Weise aufmerksam ist, das heißt im gegenwärtigen Augenblick.1

Ganz ehrlich: wie oft handelst du total fokussiert auf den Moment; lässt dich von nichts ablenken; bist mit den Gedanken ausschließlich bei dem, was du gerade tust? Die meiste Zeit laufen wir „auf Autopilot“, sind uns vieler Handlungen bzw. Gedanken überhaupt nicht bewusst.

Wenn Du zum Beispiel vor dem Fernseher isst, schmeckst Du das Essen nicht bewusst. Du isst nicht mit allen Sinnen, d.h., Du achtest nicht auf das Aussehen und die Konsistenz der Speise, spürst nicht wirklich, ob sie warm oder kühl ist, nimmst den Geruch „nur nebenbei“ bzw. gar nicht wahr. Du bist ja hauptsächlich mit dem Geschehen auf dem Bildschirm beschäftigt. Auf einmal ist der Teller leer, aber Du bist noch gar nicht wirklich satt. Das liegt daran, dass Du den Prozess des Essens nicht bewusst wahrgenommen hast. Dadurch ist der Verdauungsprozess nicht optimal verlaufen und Dein Gehirn hat das Signal empfangen: „Wirklich gegessen hat der Mensch nicht – da geht noch mehr.“ Das z.B. führt dazu, dass wir im Kino oder vor dem Fernseher mehr essen, als wir eigentlich wollten.

Multitasking ist ein typisches Beispiel für mangelnde Achtsamkeit. Du tust mehrere Dinge gleichzeitig, aber keins davon konzentriert und fokussiert.

Hier eine überlieferte Geschichte zum Thema Achtsamkeit:

Ein ganz auf das innere Leben ausgerichteter Mönch wurde gefragt, warum er trotz seiner vielen Aufgaben immer so gesammelt sein könne: «Wie gestaltest du denn dein Leben, dass du so bist, wie du bist, so gelassen und so in dir ruhend?»
Der Mönch sprach: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich; wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich; wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich; wenn ich bete, dann bete ich .. .» Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort: «Das tun wir doch auch. Aber was machst du noch, was ist das Geheimnis deines Mensch-seins?»

Der Mönch antwortete den Fragenden wiederum: «Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich schlafe, dann schlafe ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich trinke, dann trinke ich; wenn ich spreche, dann spreche ich; wenn ich schweige, dann schweige ich; wenn ich schaue, dann schaue ich; wenn ich höre, dann höre ich; wenn ich lese, dann lese ich; wenn ich arbeite, dann arbeite ich; wenn ich bete, dann bete ich …»
Da sagten die Neugierigen: «Das wissen wir jetzt. Das tun wir alles auch!»

Der Mönch aber sprach zu ihnen: «Nein, eben das tut ihr nicht: Wenn ihr steht, dann lauft ihr schon; wenn ihr geht, seid ihr schon angekommen; wenn ihr sitzt, dann strebt ihr schon weiter; wenn ihr schlaft, dann seid ihr schon beim Erwachen; wenn ihr esst, dann seid ihr schon fertig; wenn ihr trinkt, dann kostet ihr nicht genug; wenn ihr sprecht, dann antwortet ihr schon auf Einwände; wenn ihr schweigt, dann seid ihr nicht gesammelt genug; wenn ihr schaut, dann vergleicht ihr alles mit allem; wenn ihr hört, überlegt ihr euch schon wieder Fragen; wenn ihr lest, wollt ihr andauernd wissen; wenn ihr arbeitet, dann sorgt ihr euch ängstlich; wenn ihr betet, dann seid ihr von Gott weit weg .. . »

Unser Leben ist hektisch und schnell geworden. Wir sollen Leistung erbringen, zum Wirtschaftswachstum beitragen, immer und überall erreichbar sein. Als Frau wollen wir den Spagat zwischen Familie und Karriere stemmen und an jeder Front gleich viel Einsatz bringen. Was muss sich heute eine schwangere berufstätige Frau heute oft anhören, wenn sie es wagt, auf sich und ihr ungeborenes Kind zu achten; wenn sie weniger am Arbeitsplatz leistet, Ruhepausen einlegt oder sich für einige Zeit krankschreiben lässt. Wenn sie achtsam mit ihrem Körper umgeht, fällt sie aus der Leistungsgesellschaft heraus und fürchtet um ihre Karriere.

Ist es nicht merkwürdig, dass die Zahl der frühgeborenen Kinder in manchen Ländern während der Corona-Zeit um bis zu 90 % abgenommen hat? Noch gib es keine verlässlichen Studien für den Grund, doch es liegt nahe, dass die zwangsweise „Entschleunigung“ während der Pandemie dazu beigetragen hat. Durch die Schließung vieler Betriebe waren die werdenden Mütter mehr zu Hause. Geschäfte waren geschlossen. Es gab einfach weniger Gelegenheiten, „noch schnell alles zu erledigen“, bevor das Baby kommt. Die Frauen hatten keine Wahl als das zu tun, was jede Schwangere kurz vor der Geburt tun sollte: sich zurückziehen, Ruhe finden und öfter als sonst einfach nichts zu tun. Sie hatten mehr Gelegenheit zur Achtsamkeit!

Natürlich gibt es auch in solchen Zeiten Frauen, die dann trotzdem noch umtriebig sind; die meinen, alles muss bis ins Letzte durchgeplant und vorbereitet sein. Aber ein großer Teil hat gemerkt, dass es auch anders geht und vor allem, wie gut es tut, achtsam mit sich und seinem Körper umzugehen.

Wir alle sollten das auch auf unseren Alltag übertragen!

 

1 Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation

 

 

 

 

 

 

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